Rotten Places
Berlin (Wedding, Mitte von Berlin), Müllerstr. 10-11, 13353 Berlin – Die Sonne scheint. Es ist noch nicht so viel los, der Parkplatz ist leergefegt. Das Gebäude ist mächtig in die Jahre gekommen. Hier lungert Netto supermarktartig als Einkaufsmeile herum. Im Sidestore links: Fressnapf. Herr Hundchen braucht ein Kaffee-Beißholz. Zur Übung für junge Zähne. Hundewelpen beißen gern auf Dingen herum. Das Kaffeeholz schafft Ablenkung von Wohnzimmer, Sofa, Schuhen und Textilien aller Art.
Auf dem Parkplatz spricht mich ein polnisch sprechender Pole an. Er radebrecht irgendwas unverständlich von „Wolle kaufe“ und „sprech nix gut deutsch“ – Er macht seinen Kofferraum auf: Ein ganzer Haufen Baumaschinen, Makita, er sagt „habe keine Geld“ und „wolle kaufe“. Ich kann mir die Herkunft der hochwertigen Baumaschinen bereits ganz gut im Kopf ausmalen. Ich lehne dankend ab. Ich nix kaufe wolle deutsche Baumaschine. Er lächelt. Mein Motorrad wurde nicht angetastet. Gott sei Dank.
…
Auf der oben liegenden Bahnstrecke ist in bunt WEDDING angeschrieben, das macht den Ort mondäner. Schafft Lokalität. Der Lokalreporter hat’s bemerkt. Und nun nichts wie weg. Dieser Platz ist wirklich reichlich heruntergekommen, selbst wenn die Sonne scheint.
Hidden Places
Vinh Loi, Müllerstr. 88 (Wedding, Mitte von Berlin) ist umgezogen seit ca. zwei drei Jahren. Vorher war der asiatische beste Supermarkt Berlins von der Straßenecke Müller-/Ecke Seestr. schräg gegenüber in dieses Gewerbegebäude. Hier ist alles deutlich aufgeräumter wie zuvor. Und liegt auf einer Magstriale der Zubringervernunft. Von hier aus entkommt man auf der Flucht aus Berlin besser weg, Richtung Norden, in Richtung Stolpe, B 96 Richtung Ostsee über Landstraßen oder via A24 an Neuruppin Richtung Hamburg. Man ist bei Vinh Loi immer aus guten Gründen. Man muss eine feste Vorstellung davon haben, was man zu kochen beabsichtigt, denn es ist ein special interest. Chili, asiatische Gewürze wie Koriandergrün, Thai-Basilikum, viele viele weitere asiatische Lebensmittel, darunter Laos-Koriander oder wie man spätestens nach dem dritten Kauf davon weiß: Dill. Muss man erstmal drauf kommen. Der Platz ist gut versteckt in Urbanität. Nicht für Stalker wie mich, ich pass schon auf, wo ich was kriege.
Der Supermarkt ist im Erdgeschoss gelegen. Der Eingangs- ist auch der Ausgangs- (Kassen-)Bereich, wo links Einkaufswagen stehen oder wartende Asiatinnen, bewaffnet mit immergrünem Kräutergedöns.
Zwei Asiaten lümmeln auf der Müllerstr. herum, um ihre Einkäufe nochmals durchzusortieren. Der links hat eine besonders schöne Tätowierung eines Löwenkopfs auf seinem Knie links (hier nicht sichtbar, verdeckt). Darauf spreche ich ihn an und lobe die gute Arbeit. Er bedankt sich freundlich.
Lost Places
Von der durch Baustellen fatal verletzten Müllerstr. biege ich links am Alhambra-Kino in die Seestr. ein und fahre Richtung Westend. Ich will im Klinikumkrankenhaus Westend jemanden nach einer OP besuchen. Die Fahrt geht über Stock und Stein und am Fürstenbrunner Weg kann ich mit dem Motorrad auf das Krankenhausgelände fahren, um das Motorrad abzustellen. Die Schranken sind für Autos und beinhalten auch ein Ticketlösesystem, um Parkgebühren zu entrichten. Als Motorradfahrer handle ich schranken- und emotionslos. Jeder kann Gewinner sein, für einen Tag. Hier zu schlafen kann so aufregend sein. Oder wie es in einem Song von früher heißt:
Everyone’s a winner, baby, that’s the truth (yes, the truth)Making love to you is such a thrill.Everyone’s a winner, baby, that’s no lie (yes, no lie)You never fail to satisfy (satisfy)
Hot Chocolate (Errol Brown), früher
Korrekt ausgeschildert sprechen Schrifttafeln auf dem Gelände davon, das gesamte Krankenhausgelände sei eine Nichtraucher-Area. Mit Ausnahme von besonders gekennzeichneten Raucherbereichen. Genau hier ist kein solcher, besonders gekennzeichneter Bereich. Aber überall liegen Zigarettenkippen herum, ausgetreten, weggeschnipst, ausgeregnet. Niemand scheint sich an die deutsche Luftraumeinteilung unter freiem Himmel zu halten. Ich auch nicht. Das ist dieses revoluzzerhafte in mir, immer wenn ich Schilder wie diese lese. Sie wollen mir nicht recht in den Kopf. Zu deutsch.
Hidden Places
Nach dem Krankenhausbesuch muss ich noch irgendwas zu essen finden. Dafür gibt es Siri und Google und den Aktionsradius meiner Handyortung: „Zeige mir gute Restaurants in der Nähe“, befehlige ich die Assistentin. Unter fünf bis fünfzehn Vorschlägen fällt mir NIKUYA YAKINIKU an der Königin-Elisabeth-Str. (Nähe Spandauer Damm) als angenehm erreichbar ins Auge.
Ausgerechnet JAPANISCH, denke ich. Aber warum nicht.
Vielleicht folgt später noch eine Bewertung meinerseits dessen, wie ich das Essen dort empfunden habe. Auf jeden Fall dachte ich: Ich hätte nie eine Vorstellung davon, dass ausgerechnet an dieser Ecke sowas ist und kann es überhaupt gut sein, wenn es da ist. Da ist doch sonst nichts. Da läuft man auch nicht herum, da huscht man durch, mit Auto, Fahrrad, Motorrad, aber wozu soll man da scharf gucken. Hier findet man gar nichts. Ein Irrtum.